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Zusammenfassung rechtlicher Grundlagen und Übersicht möglicher Strategien

Verschiedene rechtliche Möglichkeiten und Vorgangsweisen eines Klageweges über die EU oder nationale Gerichte.

Deutsche Übertragung aus den Unterlagen eines Vortrages der Rechtsanwältin Dr. Barbara Rapp anlässlich des „European Network Meeting of Independent School-Movements“ in Stuttgart am 19.1.2012, von Beatrice Audétat.


Inhaltsverzeichnis:

(interaktiv, bitte anklicken)


1.) Grundlegende Frage:

Welche rechtlichen Vorgehensweisen gibt es, um eine ausgeglichene Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft zu erzielen ...


2.) Gegenwärtiger Stand der Dinge:

Zusammenhanglosigkeit und fehlende Rechtssicherheit

Schulen in freier Trägerschaft gegenüber Schulen in freier Trägerschaft:
Vielerorts bevorzugen vertragsbedingte Privilegien konfessionelle und andere ausgewählte Schulen in freier Trägerschaft.

Schulen in freier Trägerschaft gegenüber öffentlichen Schulen:
Schulen in freier Trägerschaft erhalten oft viel weniger finanzielle Mittel als öffentliche Schulen und sind vielmals Regelungen nach freiem Ermessen und zusätzlichen Bedingungen unterworfen.


3.) Welche rechtlichen Überlegungen könnten eine Rolle spielen?


4.) Auf welche Rechtsvorschriften können sich Schulen in freier Trägerschaft verlassen?

1.) TFEU (Treaty of the Functioning of EU) Art. 107, 108 über staatliche Beihilfen berechtigen die Europäische Kommission, Beihilfen zu verhindern, die den Wettbewerb verzerren.
http://dejure.org/gesetze/AEUV/107.html

2.) EU Charter, Art. 21(1) verhindert Diskriminierung
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

EU Charter der Europäischen Grundrechte, Art. 21(1)
Nichtdiskriminierung
(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten.


3.) Ein allgemeines EU Rechtsprinzip fordert gleiche Behandlung vergleichbarer Situationen

4.) EU Charter Art. 14(3) verleiht das Recht, Schulen in freier Trägerschaft zu gründen
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

EU Charter der Europäischen Grundrechte, Art. 14(3):
Recht auf Bildung
3) Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.


5.) EKMR (engl.: ECHR) Europäische Menschenrechtskonvention, Zusatzprotokoll Art. 2 Verleiht das Recht auf freie Erziehung.
https://www.menschenrechtskonvention.eu/zusatzprotokoll-emrk-9251/

EKMR Europäische Menschenrechtskonvention, Zusatzprotokoll Art. 2
Recht auf Bildung
Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.


5.) Daraus können für Schulen in freier Trägerschaft fünf rechtliche Argumente abgeleitet werden

 

1.) Hohe öffentliche Subventionen, welche ausgewählten oder anderen Schulen in freier Trägerschaft gewährt werden, könnten die rechtlichen Bestimmungen über staatliche Beihilfen verletzen entsprechend EU Grundrechtevertrag (TFEU) Art. 107 und 108.
http://dejure.org/gesetze/AEUV/107.html

2.) Hohe öffentliche Subventionen, welche ausschließlich z.B. konfessionellen Schulen in freier Trägerschaft gewährt werden, könnten eine Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit oder Glauben darstellen, und würden so Art, 21 (1) der EU Charter verletzen (Nichtdiskriminierung).
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

3.) Da die Höhe der staatlichen finanziellen Aufwendung für Schulen in freier Trägerschaft wesentlich niedriger liegt als jene von öffentlichen Schulen, könnte sich hieraus ein Widerspruch ergeben zum EU Prinzip, dass „vergleichbare Situationen“ auf gleiche Weise behandelt werden sollen.

4.) Eine zu niedrige staatliche Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft, welche deren Fortbestehen gefährdet, könnte das Recht verletzen Schulen in freier Trägerschaft zu gründen, wie in Art 14(3) EU Charter dargelegt.
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

5.) Eine zu niedrige staatliche Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft, welche deren Fortbestehen gefährdet, könnte Art. 2 Protocol ECHR verletzen (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK Zusatzprotokoll Art.2)
https://www.menschenrechtskonvention.eu/zusatzprotokoll-emrk-9251/



6.) Mögliches rechtliches Vorgehen basierend auf diesen Voraussetzungen

 

1.) Europäische Kommission versus Mitgliederstaaten:
Schulen in freier Trägerschaft reichen bei der EU Kommission eine Klage ein, mit dem Inhalt, dass konkurrierende Schulen in freier Trägerschaft (z.B. konfessionelle Schulen in freier Trägerschaft) staatliche Beihilfen erhielten, was den Wettbewerb verzerre. Im Falle einer negativen Entscheidung Einreichen einer Nichtigkeitsklage am Europäischen Gerichtshof gegen die EU Kommission.

2.) Schulen in freier Trägerschaft versus Mitgliedstaat:
Schule in freier Trägerschaft bringt eine nationale Klage ein aufgrund einer bereits erfolgten nationalen Entscheidung gegen einen Antrag auf höhere öffentliche Subvention, mit nachfolgender nationaler Gerichtsverhandlung, in welcher die Verletzung von Art. 14 und 21 der EU Charter sowie das Recht auf Gleichbehandlung geltend gemacht werden, - anschließend Weiterleitung an den Europäischen Gerichtshof mit Bezugnahme auf TFEU Art. 267 (Vorabentscheidungen).

3.) Europäische Kommission versus Mitgliedstaaten:
Eine Schule in freier Trägerschaft meldet eine informelle Klage (Beschwerde) bei der EU Kommission an, über Verletzung der Art. 14 und 21 der EU Charter, sowie wegen nicht erfolgter Gleichbehandlung. Im besten Falle kommt es daraufhin zu einem Vorgehen der Kommission gegen den Mitgliedstaat wegen Nichteinhaltung obiger Gesetze.

4.) Schulen in freier Trägerschaft versus Mitgliedstaat:
Nachdem alle innerstaatlichen Mittel ausgeschöpft sind, bringt eine Schule in freier Trägerschaft eine offizielle Klage beim Europäischen Gerichtshof ein, wegen Nichtbeachtung der ECHR (EMRK, Europäischen Menschenrechtskonvention, Zusatzprotokoll Art. 2) durch den Mitgliedstaat.



7.) Einzeldarstellungen: Bisherige Klagen/Erfahrungen und mögliche Klagswege/Argumentationen

[1a.) und 1b.) sind zwei Beispiele, 2.), 3.) und 4.) sind weitere mögliche Klagswege.]


1a.) Ungleicher Wettbewerb zwischen Schulen in freier Trägerschaft?

Waldorf gegen Europäische Kommission



1b.) Ungleicher Wettbewerb zwischen Schulen in freier Trägerschaft?

Montessori gegen Europäische Kommission



2.) Nationales Gerichtsverfahren und Überweisung an den Europäischen Gerichtshof

Schule in freier Trägerschaft gegen Mitgliedstaat



3.) Klage einer Schule in freier Trägerschaft gegen die EU Kommission

Kommission gegen Mitgliedstaat



4.) Rechtssache der Europäischen Menschenrechtskonvention


8.) Schlussfolgerung:


Vorrang sollte die Entwicklung eines transparenten objektiven Europäischen Konzeptes haben, welches eine rechtliche und wirtschaftlich vertretbare staatliche Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft mit einbezieht.
Die Artikel 14 (3), 21 (1) der EU Grundrechte Charter zusammen mit dem EU Prinzip der Gleichbehandlung vergleichbarer Situationen würde eine rechtliche Grundlage bieten.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der nationalen Gerichte würde helfen, solch ein Konzept zu erstellen.



9.) Transparentes Europäisches Ziel-Konzept

 



10.) Gesetzestexte im Originalwortlaut:

 

The Charter of Fundamental Rights of the European Union:

http://www.europarl.europa.eu/charter/default_en.htm

Article 14:
Right to education

(1) Everyone has the right to education and to have access to vocational and continuing training.
(2) This right includes the possibility to receive free compulsory education.
(3) The freedom to found educational establishments with due respect for democratic principles and the right of parents to ensure the education and teaching of their children in conformity with their religious, philosophical and pedagogical convictions shall be respected, in accordance with the national laws governing the exercise of such freedom and right.

Article 21:
Non-discrimination

(1) Any discrimination based on any ground such as sex, race, color, ethnic or social origin, genetic features, language, religion or belief, political or any other opinion, membership of a national minority, property, birth, disability, age or sexual orientation shall be prohibited.
(2) Within the scope of application of the Treaty establishing the European Community and of the Treaty on European Union, and without prejudice to the special provisions of those Treaties, any discrimination on grounds of nationality shall be prohibited.

 

Right to education under the Protocol to the ECHR as amended by Protocol No 11 –

http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/009.htm

Article 2:
Right to Education

No person shall be denied the right to education. In the exercise of any functions which it assumes in relation to education and to teaching, the State shall respect the right of parents to ensure such education and teaching in conformity with their own religious and philosophical convictions.

 

EU Treaty (Lisbon)

http://eur-lex.europa.eu/collection/eu-law/treaties/treaties-force.html

Article 2:

The Union is founded on the values of respect for human dignity, freedom, democracy, equality, the rule of law and respect for human rights, including the rights of persons belonging to minorities. These values are common to the Member States in a society in which pluralism, non-discrimination, tolerance, justice, solidarity and equality between women and men prevail.

Article 6:

(1) The Union recognizes the rights, freedoms and principles set out in the Charter of Fundamental Rights of the European Union of 7 December 2000, as adapted at Strasbourg, on 12 December 2007, which shall have the same legal value as the Treaties. The provisions of the Charter shall not extend in any way the competences of the Union as defined in the Treaties. The rights, freedoms and principles in the Charter shall be interpreted in accordance with the general provisions in Title VII of the Charter governing its interpretation and application and with due regard to the explanations referred to in the Charter, that set out the sources of those provisions.
(2) The Union shall accede to the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms. Such accession shall not affect the Union’s competences as defined in the Treaties.
(3) Fundamental rights, as guaranteed by the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and as they result from the constitutional traditions common to the Member States, shall constitute general principles of the Union’s law.

Article 67:

(1) The Union shall constitute an area of freedom, security and justice with respect for fundamental rights and the different legal systems and traditions of the Member State.

 

A. Declarations Concerning Provisions of the Treaties

http://europa.eu/pol/pdf/qc3209190enc_002.pdf

1. Declaration concerning the Charter of Fundamental Rights of the European Union.

The Charter of Fundamental Rights of the European Union, which has legally binding force, confirms the fundamental rights guaranteed by the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and as they result from the constitutional traditions common to the Member States.
The Charter does not extend the field of application of Union law beyond the powers of the Union or establish any new power or task for the Union, or modify powers and tasks as defined by the Treaties.‘

 

Resolution on Freedom of Education in the European Community.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:1984:104:0060:0080:EN:PDF

Passed in the European Parliament 14-3-1984.

In accordance with the right to freedom of education, Member States shall be required to provide the financial means whereby this right can be exercised in practice, and to make the necessary public grants to enable schools to carry out their tasks and fulfill their duties under the same conditions as in corresponding State establishments, without discrimination as regards administration, parents, pupils or staff.

 

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